Christsein am anderen Ende der Welt

Das ist keine Piste mehr. Das ist eine von neulich niedergegangenen Sturzbächen durchfurchte, von Geröll übersäte, in Schlaglöchern und scharfen Kanten erstarrte Lehmlandschaft, die ich bei einem der mächtigen Wolkenbrüche, die hier auf Sumatra in der Regenzeit regelmäßig herunterkommen, lieber gar nicht kennenlernen möchte. Der Weg den Berg hinauf führt über atemberaubende Steigungen und hinter der nächsten Kurve wieder in steile Abschüsse hinein. Er ist gerade mal wenig breiter als das Auto, mit dem wir ihn befahren, ein jeepartiger Toyota mit offener Ladefläche, auf der ich mit einem Dutzend Leute stehe bzw. sitze und mich festzuhalten versuche. Ein paar von unseren Gefährten hocken auch auf dem Dach über der Fahrerkabine, fröhlich scherzend, was mich ungemein beruhigt. Anscheinend bin ich der einzige, der glaubt, auf diesem Trip immer mal wieder dem vorzeitigen Ableben ins Auge sehen zu müssen. Wenn der Wagen sich bedrohlich nach rechts neigt, wobei ich weiß, dass rechts neben uns ein paar Dutzend Meter freie Luft abwärts gehen, dann bin ich dankbar für ein aufmunterndes Wort von den indonesischen Geschwistern auf dem Wagendach, während sich meine Fingerknöchel vom angestrengten Festklammern weiß färben.

Wir sind unterwegs in der Provinz Dairi, Nordsumatra, fünf Reformierte aus der Grafschaft. Wir besuchen unsere Partner dort. Der Synodalverband (hier: die Classis) Dairi der GBKP, unserer reformierten Partnerkirche, ist uns seit Jahren verbunden. Regelmäßig reisen Delegationen hinüber und herüber. Wir begegnen sehr freundlichen Menschen mit tiefer Frömmigkeit, die unter schwierigen, oft von Mangel und Armut geprägten Bedingungen ihren Glauben leben.

Als Christen verfolgt oder benachteiligt werden sie nicht. In Dairi stellen die Christen 60% der Bevölkerung. Nach allem, was wir direkt und aus Gesprächen wahrnehmen konnten, leben sie mit den Muslimen, die in der Region 35%, in Indonesien als ganzem aber die Mehrheit stellen, in spannungsfreier Gemeinschaft. Das wird besonders deutlich, als wir beim stellvertretenden Landrat der Provinz Dairi zu einem hochoffiziellen Empfang eingeladen werden. Der „Ketua Moderamen" der GBKP (entspricht unserem Kirchenpräsidenten), Pastor Matius Barus, begleitet uns zu dem Besuch. Der politische Führer und der Kirchenführer kennen sich gut. Matius Barus wird aufgefordert, ein Gebet zu sprechen, was er in der in Dairi üblichen Ausführlichkeit auch tut. Selbstverständlich wird zu Jesus Christus gebetet. Nichts Besonderes – außer, wenn man die Tatsache bedenkt, dass der offizielle Vertreter der indonesischen Staatsmacht kein Christ, sondern Muslim ist und trotzdem den Christen Matius Barus nicht nur um das Sprechen eines Gebets bittet, sondern auch noch selbst gesenkten Hauptes mitbetet.

Als wir nach 45 Minuten atemberaubender, alle deutschen Sicherheitsbestimmungen fröhlich verspottender Autofahrt den Gipfel des Berges erreichen, kommen wir nicht an einem Aussichtsplateau an, sondern bei der am höchsten gelegenen Gemeinde der gesamten GBKP: Lau Lebah. Unsere Geschwister erzählen uns, hier oben sei noch nie ein Europäer gewesen, verständlich angesichts der extremen Abgelegenheit. Der Empfang ist überwältigend herzlich. Das gesamte Dorf ist auf den Beinen. Essen, Trinken, Ansprachen, Vorstellungen, Lieder, Fragen und Antworten – hier spüren wir christliche Gemeinschaft mit Menschen, die unter den schwierigen herrschenden Bedingungen ihren Glauben leben. Wie weit der Alltag dieser Gemeinde auf dem Berg von dem unserer Gemeinden in der Grafschaft entfernt ist, kann man nur erahnen. Die Kirche Jesu Christi lebt in allen Kulturen. Wir glauben schließlich an die „eine, heilige, allgemeine christliche Kirche". Wir fünf erleben es als ein Privileg, ein Stück davon erfahren zu dürfen. Selbst wenn wir dazu den Berg auch wieder auf der gleichen Strecke hinunterfahren müssen.

Heinz-Hermann Nordholt