Lernen an einem wunderbaren Ort

Zwei 18-Jährige werden Organistinnen

Die letzte Note ist gespielt, der letzte Ton verklungen. Es ist der Moment, an dem sich ein glückliches Lächeln auf das Gesicht von Judith Riefel-Lindel legt. „Schön“, sagt sie und nickt,  „sehr, sehr schön.“ Riefel-Lindel steht in der evangelisch-reformierten Kirche in Leer-Loga und hält für einen Moment inne – so, als ob sie den Zauber des Augenblicks noch einmal zurückholen will. Dann richtet sie sich an Hilke Baumann, an ihre Schülerin, die das Notenheft schließt und ein letztes Mal über die Tasten der Orgel streicht. „Es wird gut werden“, sagt Riefel-Lindel und meint damit das Orgelspiel der 18-Jährigen während des kommenden Gottesdienstes. Und Riefel-Lindel muss es wissen. Denn seit mehr als 20 Jahren gibt die gebürtige Amerikanerin, die jetzt in den Niederlanden lebt, Orgelunterricht in Ostfriesland – um für mehr Nachwuchs an einem wie sie es nennt „wundervollen Instrument“ zu sorgen.

Unterstützt wird das Projekt von der Evangelisch-reformierten Kirche. „Das ist ein ganz tolles Angebot“, sagt sie. „Es gibt viel zu wenig Organisten.“ Mehr als 30 Schüler und Schülerinnen von ihr spielen mittlerweile regelmäßig im Gottesdienst, begleiten die Gemeinde. So wie Hilke Baumann. Eine Freundin nahm die Leeranerin einfach mal mit zum Unterricht. Der Beginn einer Leidenschaft. „Damals war ich acht“, sagt sie. Zehn Jahre und ungezählte Übungsstunden später sitzt die Leeranerin noch immer an der Orgel. Mit Begeisterung. „Es war am Anfang spannend, ein Instrument zu lernen, das sonst nicht so viele spielen“, erinnert sie sich und ergänzt: „Mich hat direkt zu Beginn fasziniert, das man dabei Hände und Füße gleichzeitig benutzen muss.“ Genau diese Faszination ist bis heute geblieben. Seit zwei Jahren begleitet sie mittlerweile regelmäßig den Gottesdienst in der evangelisch-reformierten Kirche. „Etwas aufgeregt ist man natürlich vor jedem Auftritt“, sagt sie, „allerdings bin ich mit der Zeit auch schon deutlich ruhiger geworden.“ Doch etwas Lampenfieber gehöre dazu, umso schöner sei nämlich das Gefühl am Ende eines Gottesdienstes, genau dann, wenn das letzte Lied gespielt ist. „Das ist einfach toll“, erzählt die 18-Jährige: „Es macht unheimlich viel Spaß.“

Doch Spaß allein reicht nicht aus - bei weitem nicht. Denn wer Orgelspielen lernen möchte, benötigt viel Disziplin. „Das geht nicht von heute auf morgen“, sagt Judith Riefel-Lindel. Durchhaltevermögen und Ehrgeiz, Fleiß und Geduld seien unabdingbar. „Wer im Gottesdienst spielen möchte, muss mindestens vier bis fünf Jahre üben“, erklärt die Expertin, deren jüngste Schülerin acht und die älteste 65 Jahre alt ist. Und für die Lehrerin ist es wichtig, dass sie selbst von Dorf zu Dorf fährt, dass die Schüler in ihren Heimatorten spielen können und keine weiten Reisen zum Unterricht haben. Sie sagt: „Die Schwelle, überhaupt mit dem Orgelspiel zu beginnen, ist so deutlich niedriger.“

Seit neun Jahren ist mittlerweile Frauke Tüchsen dabei. Wie Hilke Baumann kam auch sie über eine Freundin zum Orgelspielen. „Die Freundin hörte später auf, ich blieb dabei“, sagt die 18-jährige Leeranerin, die am Anfang fleißig zu Hause am Keyboard übte. Später ging es dann in die Kirche, kam das Pedal an der Orgel hinzu. Bis zu fünfmal in der Woche greift die junge Frau in die Tasten, spielt zirka einmal im Monat im Gottesdienst. „Wenn ich eine längere Zeit nicht an der Orgel gesessen habe, dann fehlt es mir sehr“, sagt sie. „Es macht viel Spaß, die Gemeinde zu begleiten.“ Die 18-Jährige ist jedoch nicht nur in Leer aktiv, sondern spielt auch in Ihrhove. Und Orgel ist nicht gleich Orgel. Wer in einer Kirche brilliert, kann in der anderen böse scheitern. „Es gibt so viele Unterschiede, man muss sich erst einmal an die jeweilige Orgel gewöhnen“, sagt die Leeranerin. Und dazu gehört eine Menge Zeit und Einsatz. Davon, dass die beiden 18-Jährigen jede weitere Orgel-Hürde nehmen werden, ist Judith Riefel-Lindel fest überzeugt. Sie sagt: „Die beiden spielen wirklich ganz toll.“

von Sebastian Bete

Foto (Sebastian Bete): Frauke Tüchsen und Judith Riefel-Lindel